[Di, 3.6.2025 – Rehe, Interview, Audio]

Von langen Autoreisen bekomme ich meistens ein seltsames Muskelweh. Am nächsten Tag fühlt sich mein Muskelgerüst verhärtet an. Als wäre ich von einem subtilen Krampf umgeben. Vor allem an den Beinen. Heute war so ein Tag. Abhilfe schafften nur Spaziergänge oder eben körperliche Betätigung. Morgen gehe ich wieder ins Fitnessstudio, vielleicht löst das die Muskeln.

Komischerweise habe ich in diesen zwei Wochen Gewicht verloren. Gemessen an den Mengen an Alkohol und Kohlenhydraten, die ich zu mir genommen hatte, ging ich davon aus, dass ich 3 oder 4 Kilo zulegen würde. Das Gegenteil ist aber der Fall. Verstehe ich nicht. Aber es ist mir egal. Ich nehme jeden Gewichtsverlust an wie ein fliegendes Brathähnchen aus dem Schlaraffenland.

Wir sind übrigens auch mit dem Kajak gefahren. Das will ich nicht unerwähnt lassen. Die Nachbarin aus Berlin, ihr Sohn und ich. Das war wirklich sehr schön. Durch ein kleines Flusssystem nordöstlich von Limmared, das sich zu einer Seeenkette langzog. Dort sahen wir einen Otter und wir kamen sehr nahe an grasende Rehe heran. Es soll üblich sein, dass man Rehe vom Fluss aus in geringer Entfernung sehen kann. Als wir das nachher der Frau vom Kajakverleih erzählten, erklärte sie uns, dass Rehe vom Wasser her keine Gefahr erwarten und sich deswegen lange in Sicherheit wiegen, bis man plötzlich sehr nahe dran ist. Die Frau vom Kajakverleih wusste aber auch sonst viel.

Heute beantwortete ich noch die Fragen des Südtiroler Onlinemagazins „Salto.bz„. Weil meine Novelle neulich in der südtiroler „Kulturelemente“ erschien, sollte ich für deren Podcast und die dazugehörige Webseite ein paar Fragen beantworten. Nichts lieber als das. Einige Fragen schriftlich und einige Fragen als Audio. Mit der Audioaufnahme strauchelte ich ein bisschen. Zuerst antwortete ich einfach frei heraus und ohne mich vorzubereiten. Ich dachte, das klingt authentischer. Während ich das einsprach fand ich allerdings, dass ich viel Blödsinn redete und dümmliche Formulierungen verwendete. Weil das nach dem zweiten und dritten Mal nicht besser wurde, schrieb ich mir die Antworten auf und las sie danach vom Blatt ab, was wiederum etwas hölzern und überhaupt nicht wie in einem Dialog klang. Also übte ich noch ein paar Mal, um das Aufgeschriebene authentischer klingen zu lassen. Es ging so mittelmässig gut. Zum Glück bin ich kein Perfektionist, sonst sässe ich immer noch dran.

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Zurück in B:

[Mo, 2.6.2025 – die letzten 5 oder so Tage]

Nach den vielen Tagen ohne Eintrag weiss ich gar nicht mehr, wie ich die letzten Tage zusammenfassen soll. Nicht nur habe ich wenig gebloggt, ich habe auch sonst kaum eine Zeile geschrieben. Auch habe ich nichts gelesen. Tagsüber war ich immer sehr mit Logistik (Einkaufen, Holz holen, Steine holen, mähen, Wald ausdünnen) beschäftigt, und abends war ich immer dermassen müde, dass ich im Bett nach zwei Atemzügen einschlief.

Die Komposttoilette ist jedenfalls fertig gebaut, sowie auch die Aussendusche. Wir waren in Göteborg, haben dort Unmengen Kaneelbullar gegessen und Holz gekauft. Überhaupt habe ich viel Holz gekauft, Essen gegessen und Alkohol getrunken. Mit dem Holz kaufen werde ich in Berlin immerhin wieder aufhören. Dafür gibt es jetzt ein wunderbares Toilettenhäuschen aus Fichtenholz, das aussieht wie eine Sauna. Das wiederum hat die Fantasie beflügelt, weswegen wir uns überlegen, in den nächsten Jahren eine Sauna zu bauen. Ich weiss jetzt immerhin alles über den Holzkauf. Nicht den –Bau, aber den –Kauf.

Am Samstag kam der Maler. Er wollte eigentlich irgendwann in 2025 kommen, um die Aussenfassade neu rot zu streichen. Wir hatten beschlossen, dies nicht selbst zu tun, sondern ihn das machen zu lassen. Er braucht für die 6 Hauswände etwa drei oder vier Stunden, während ich für eine einzige Wand zwei Tage brauchte. Ich weiss nicht genau, was ich falsch mache. Vermutlich habe ich keine Lust und entsprechend lustlos, schlecht und langsam male ich dann auch. Das ist wie mit dem Putzen. Wir hatten einmal eine Putzfrau, die putzte einfach schnell. Als ich sie dabei beobachtete, stellte ich fest, dass sie beim Putzen gute Laune hatte. Sie putzt wahrscheinlich einfach gerne, bzw. sie findet es nicht so schlimm wie ich. Das Ergebnis macht mir allerdings gute Laune. Wenn das Haus rot ist und die Wohnung sauber.

Weil ich auf Insta mehrmals gefragt wurde, warum in Schweden die Häuser rot sind, möchte ich auf den Wikipedia-Artikel „Falunrot“ verweisen. Meine Zusammenfassung geht so: Die Farbe ist ein Pigment, das als Abfallprodukt aus dem Kupferbergwerk im zentralschwedischen Falun gewonnen wird. Das Pigment ist wasserlöslich, schützt aber das Holz, wenn es dick aufgetragen wird. Die Farbe wurde in Schweden populär, weil sie zum einen verfügbar war und die Häuser damit ein bisschen aussahen wie Backsteinbauten wohlhabender Mitteleuropäer. Nachdem im Laufe der Jahrhunderte so viele Häuser damit bestrichen worden waren, entwickelte sich die Ästhetik zu einem Teil der schwedischen Identität.

Unsere Berliner Nachbarn fuhren am Sonntagfrüh zurück. Ein paar Stunden später fuhren auch wir in den Süden. Nicht gleich nach Berlin, sondern zuerst in ein kleines Dorf unweit von Trelleborg, zu einer Cousine zweiten Grades, die uns vor wenigen Wochen in Berlin besuchte. Es war sehr nett. Sie und ihr Mann bewohnen ein wahnsinnig schönes und schön eingerichtetes Holzhaus unweit des Strandes in einer kleinen Wohnsiedlung zwischen Kiefernbäumen. Das Haus ist nicht nur von innen hygge, sondern auch von aussen.

Am gestrigen Montag fuhren wir dann wieder zurück nach Berlin.

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[Di, 27.5.2025 – es regnet kaltes Wasser]

Um etwa 10 fing der Regen an und er blieb bis 17 Uhr. Weil ich morgens einige Zeit unpassend gekleidet im kalten Regen verbrachte, kam ich den ganzen Tag nicht richtig auf Temperatur. Ich fand nämlich meinen Autoschlüssel nicht mehr wieder. Als ich mich an alle Abläufe des Vortages zu erinnern versuchte, kam der Verdacht auf, ich hätte ihn beim Bearbeiten der Birke irgendwo draussen verloren. Also stocherte ich die längste Zeit auf der Wiese vor dem Haus und auf dem matschigen Weg unten am Fluss mit den Stiefeln zwischen dem Grass herum. Am Ende stellte sich heraus, dass ich den Schlüssel in dem kurzen Moment verloren hatte, in dem ich im Auto der Nachbarin gesessen hatte. Ey, ich will gar nicht googlen, was ich hätte unternehmen müssen, um in Schweden einen Autoschlüssel ersetzen zu lassen. Vor allem, wo die Fahrzeugpapiere im Auto eingeschlossen waren.

Ziemlich durchnässt fuhren meine Frau und ich schliesslich in ein 40 Kilometer entferntes Dorf, um eine Regentonne zu kaufen. Wir waren schlecht gelaunt und meine Hände froren. Eigentlich fror so ziemlich alles in mir. Und die Heizung wollte nicht wirklich wärmen, bis wir herausfanden, dass das Gebläse ausgeschaltet war. Mittlerweile hatte der Regen seine Beats per Minute verdreifacht. In dem angesteuerten Geschäft befanden sich die grösseren Gartengegenstände wie Regentonnen in einem offenen Gelände auf der Rückseite des Gebäudes. Sogar meine Schuhe waren mittlerweile nass. Ich weiss nicht genau, warum ich meine schöne Kleidung für den Einkauf angezogen hatte. Vermutlich, weil ich dachte, mich in die Zivilisation zu begeben. Da kann ich nicht gut in Gummistiefeln und ausgebeulten Hosen auftauchen. Die Regentonnen waren jedenfalls nicht nach unserem Geschmack. Einmal holte ich einen dazugehörigen Plastikdeckel vom oberen Regal. Zu spät merkte ich, dass die Deckel dort umgedreht gelagert und damit vollgeregnet waren. Und so ergossen sich fünf Liter kaltes Regenwasser über mich.

Daraufhin beschloss ich, nichts zu kaufen. Ich setzte mich ins Auto und schaltete das warme Gebläse an.

Abends kam allerdings die Sonne raus.

Dennoch überlege ich jetzt, dieses Blog umzubenennen.

[Mo, 26.5.2025 – Slits, Björk]

Ich wasche mich hier ja kaum. Ich stinke nicht. Natürlich bilde ich mir ein, dass dies an der Natur liegt. Dass der Körper in der Wildnis sich irgendwie von selbst reinigt. Tarzan hat schliesslich auch erst geduscht, als er nach London kam. Das letzte Mal duschte ich vor 9 Tagen, zuhause in Berlin. Wir haben hier ein kleines Waschbecken mit einer Handbrause. Damit kann man sich waschen. Oder man springt in den Fluss. Der Fluss misst allerdings Temperaturen im einstelligen Bereich. In dem Fall rieche ich lieber schlecht. Ich halte meiner Frau regelmässig meine Achseln an die Nase. Sie bestätigt aber, dass ich nicht stinke. Allerdings wasche ich mich schon ein bisschen. Katzenwäsche. Von Tits, Pits and Slits wasche ich mir immerhin die Slits.

Wir haben hier schöne Tage. Wir assen abends auch schon draussen in der Abendsonne. Einmal schmissen wir den Grill an. Der Bau der Toilette schreitet voran. Tagsüber sind wir alle beschäftigt. Der Nachbar geht einfach ganz normal seinem Job nach, wir anderen sind draussen. Wir gärtnern, legen Blumenbeete an, fahren in die Stadt zum Supermarkt oder zum Baumarkt. Ich dünne ein kleines Waldstück aus, in dem ich schon seit Jahren Tische und Bänke hinstellen will. Allerdings spriessen dort viele kleine Eschen und es liegt eine vor sich hin faulende Birke dazwischen.

Letztes Jahr berichtete ich von einer Birke, die über den Waldweg gestürzt war. Die Forstgesellschaft hatte den Baum anschliessend gefällt und nur am Wegesrand liegen gelassen. Diese Birke gingen der Sohn der Nachbarin und ich heute holen. Mit einem dicken Seil befestigten wir den Baum am Schloss der Gepäckstür am Auto. Es war ein Versuch, ich wusste nicht, wie stabil dieses Schloss sein würde. Wie sich jedoch herausstellte, kann man damit richtige Baumstämme einen halben Kilometer durch den Wald schleifen. Oben auf vor dem Haus können wir die Birke zerkleinern. Das machen wir aber erst in den nächsten Tagen.

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Stefan und Dirk Hesse haben die Novelle gelesen:

  • Janeemussja – „ein bisschen den Weg finden, offenbar ohne zu sehr zu suchen.“
  • Ligneclaire – „Das tut er unaufgeregt, fast distanziert, und das hat mir sehr gefallen“

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[Sa, 24.5.2025 – välkommen]

Am Donnerstagabend kamen dann unsere Nachbarn aus Berlin. Zuerst erreichte uns der Sohn, der mit seinem Oldtimer-Bulli bereits vor einigen Tagen in Berlin gestartet war. Sein Bulli fährt nicht schneller als 80 km/h, auf der Autobahn ist er daher nicht immer beliebt. Immerhin steht in Grossbuchstaben auf seiner Heckscheibe „Sorry, can’t drive faster“. Das dürfte die meisten Menschen milde stimmen. Bei diesem Tempo braucht er natürlich ewig. Allerdings ist er mit diesem Gefährt schon nach Nordnorwegen auf die Lofoten gefahren. Mit der passenden Einstellung kommt man überall hin,

Zwei Stunden später kamen auch die anderen beiden. Schweden hiess sie bei fünf Grad und Regen Välkommen. Es gab ja diesen Temperatursturz. Aber alle hatten gute Laune. In unserem Häuschen brannte der Kamin und es gab sizilianischen Käse und sizilianische Wurst und sizilianische Salami.

Am nächsten Tag begannen wir mit den Arbeiten an der neuen Komposttoilette. Ich verwende an dieser Stelle noch das „wir“, weil der Toilettenbau ursprünglich so geplant war, dass ich die Toilette baue und der Sohn der Nachbarin mir hilft. Der junge Mann ist aber ausgesprochen geschickt und versiert. Die Arbeit mit Holz ist sein Hobby und sein Beruf. Er kam zudem mit einem mehr oder weniger ausgereiften Plan für diesen Bau nach Schweden. Nach der ersten Lagebesprechung stellte sich sehr schnell heraus, dass ich im Wege stehe. Ich eignete mich nicht einmal als schmückendes Beiwerk, weil er zudem wesentlich besser aussieht als ich.

Dennoch war ich drei Tage lang durchgehend beschäftigt und kann gar nicht sagen, womit genau. Immerhin stiegen danach die Temperaturen ein bisschen und es kam sogar eine zögerliche Frühlingssonne hervor.

[Mi, 21.5.2025 – Humus, Wetterfest]

Abends gehen wir schon vor Sonnenuntergang ins Bett und ich wache mit den ersten Sonnenstrahlen auf. Ich komme mir vor, wie ein Huhn.

Wenn ich mich ins Bett lege, werde ich augenblicklich müde und schlafe in kurzer Zeit ein. Von Knausgård habe ich bisher etwa 20 Seiten gelesen, ich muss aber jeden Abend neu anfangen, weil ich wegen der Müdigkeit nur Buchstaben lese und keine Inhalte. Ich vergesse ständig, was auf der vorigen Seite geschah, muss zurückblättern, lese wieder nur Buchstaben, und plötzlich fällt mir das Buch ins Gesicht, weil ich währenddessen einschlief.

Es hat sicherlich mit der körperlichen Anstrengung zu tun, die ich hier aufbringe. Die ersten Tage malerten wir und stellten das halbe Haus um. Gestern öffnete ich das Plumpsklo von hinten und schaufelte menschliche Ausscheidungen der letzten 70 Jahre in eine Schubkarre. Ich habe allerdings nicht ganz verstanden, welche organische Substanz ich hier genau wegarbeitete. Ich dachte, Kompost oder Humus sei lockerer, weicher. Das, was ich dort aber verschaufelte, war in den unteren Lagen eher lehmige Erde. Die oberen, lockeren Schichten waren nur etwa 10 cm dick. Danach nur noch dunkelbraun und lehmig. Eine schnelle Suche im Netz gab mir noch keine zufriedenstellenden Antworten. Ich werde diesbezüglich die kompetente Frau aus dem Toilettengeschäft noch einmal ansprechen. Die sprach nämlich ständig von Fäulnisprozessen, die es zu verhindern gelte. Möglicherweise ist die lehmige Substanz eher ein Ergebnis von Fäule. Aber wie gesagt, ich werde das in Erfahrung bringen, wenn mir der Kopf danach ist.

Zuerst mache ich mir Gedanken um den zu erwartenden Ganzkörpermuskelkater, der mich spätestens am Donnerstag überziehen wird. Das alles ist anstrengender, als ins Fitnessstudio zu gehen.

Dort, wo ich jetzt alles freigeräumt habe, werden wir in den nächsten Tagen die Komposttoilette einbauen. Wenn der Sohn unserer Freunde am Donnerstag kommt, werden wir die Baupläne besprechen. Vermutlich brauchen wir Ziegelsteine, um die Tonne auf festen Untergrund zu stellen.

Die letzten Tage waren vom Wetter her bilderbuchmässig. Blauer Himmel, 20 Grad, ein leichtes Lüftchen. Ich beschäftige mich ja selten mit dem Wetter. Aber wenn man für ein paar Wochen im Jahr in den Wald zieht, ist es dennoch von Vorteil, wenn man nicht ständig drinnen sitzen muss. Ausserdem liegt die Toilette etwa 50 Meter die Wiesen hinunter, hinter der Scheune.

Morgen wird es einen Temperatursturz auf 5 Grad Höchsttemperatur geben. Morgen kommen auch unsere Freunde aus Berlin. Glücklicherweise sind sie nicht wettergefühlig, wie man auf Niederländisch sagt. Im Gegenteil, sie sind alle drei wetterfest. Dennoch waren die letzten Tage in der Abendsonne vor dem Haus schon fantastisch.

Heute waren wir in Göteborg bei Ikea, um Teppiche und andere Dinge zu kaufen. Dabei war ich noch nie in einem schwedischen Ikea. Bis auf den grossen Schriftzug „Ingång“ am Eingang sah es so aus wie ein normales Ikea in Berlin. Sogar die Namen der Möbel waren deutsch, wie immer. OK, blöder Witz, ich habe gute Laune.

Den Rest des Tages hingen wir Lampen und Bilder auf. Schon heute ist es merklich kühler als die letzten Tage. Am Abend heizte ich den Kamin ein. Vor allem, um das Papier von der Malerarbeit und die Kartons aus dem Möbelhaus zu entsorgen. Das war eine richtig gute Idee. Am Kaminfeuer zu sitzen, war schön.

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[Mo, 19.5.2025 – Ländereien, Malern, Flussufer]

Die ersten beiden Tage fasse ich jetzt mal als zwei intensive Arbeitstage zusammen. Wir hatten spontan beschlossen die Küche zu malern. Unsere Berliner Nachbarn kommen am Donnerstag, meine Frau hasst diese gelb gestrichenen Wände in der Küche, deswegen nahmen wir uns einer neuen Wandfarbe an.

Es ist tagsüber sehr angenehm warm. Sonnig und um die 20 Grad. Morgens setze ich mich mit der Hündin auf die Ostseite des Hauses auf die Steinplatte vor der Eingangstür in die Sonne und trinke Kaffee. Die Hündin legt sich vor mir ins Gras. Totale Instagramvibes. Später kommt noch meine Frau dazu. Ich sage ständig: Uns geht’s gut. Uns geht’s richtig gut.

Vormittags laufe ich mit der Hündin das Ufer ab. Ich nenne es: meine Ländereien inspizieren. Ich fühle mich wie John Dutton. Zwar hat das Land hier kaum Wert, aber das Flussufer ist fast einen Kilometer lang, ich wollte immer schon einmal am Wasser leben. Ein See wäre noch besser, das Meer auch, aber das Meer ist was anderes.

Ich wäre jedenfalls ein guter John Dutton.

Die Hündin liebt es, wenn wir unsere Ländereien inspizieren. Auch sie wäre ein guter John Dutton. Sie kennt bereits die Stellen, für die ich mich interessiere. Es sind verschiedene Uferstellen, an denen ich die Änderungen des Flussverlaufs checke. Sie rennt mir voraus und macht das, was ich auch immer mache: checken. Ein bisschen mit den Füssen die Festigkeit der Erde prüfen, auf und ab gehen, links und rechts schauen. Ich mache das vor allem mit den Augen. Sie macht das vorrangig mit der Schnauze.

Dieses Jahr führt der Fluss sehr wenig Wasser mit. Anscheinend war der Winter sehr trocken. Üblicherweise tritt der Fluss jeden Winter über die Ufer. Dieses Jahr sieht man Sandbänke im Fluss.

Am südlichen Ende des Ufers haben wieder Wildschweine getobt und weite Teile der Wiese umgepflügt. Laut Internet suchen sie nach Wurzeln, Mäusen und Insekten. Früher gab es an jener Stelle oft Maulwurfhügel. Jetzt aber nicht mehr.

Und sonst malern wir die ganze Zeit. In einer der Pausen bewundere ich die Hündin, wie sie einfach da im Gras liegt und sich von der Sonne anscheinen lässt. Spontan lege ich mich dazu. Auf den Bauch. Das habe ich noch nie gemacht. Warum eigentlich nicht. Es geht mir gut, dort im Gras, es geht mir richtig gut. Meine Frau kommt dazu und legt sich neben mich. Es geht uns richtig gut.

In der Scheune fand ich Golfschläger. In der Scheune findet man viele Dinge. Die Golfschläger hatte ich allerdings nie registriert. Sie müssen sehr alt sein, teilweise sind sie aus Holz. Da ich weiss, dass mein Schwiegervater sich nicht für Golf interessiert, müssen die Schläger aus den Fünfzigern sein oder von noch früher.

Ich habe zwei Freunde, die Golf spielen. Ich schicke beiden ein Foto davon.

Am Abend gehen wir zu den Nachbarn, die etwa 2 km flussaufwärts wohnen. Die beiden sind ein Paar, der Mann ist der Cousin meiner Frau. Sie haben indisches Essen für uns gekocht. Wir haben Berliner Bier mitgebracht. Sie zeigen uns ihr Haus, sie wohnen dort 8 Monate im Jahr, ohne warmes Wasser und ohne Wassertoilette. Für den Winter haben sie eine Wohnung in Göteborg. Es ist ein sehr netter Abend. Die Sonnenuntergänge ziehen sich in dieser Jahreszeit schon ewig am Horizont entlang und die Nächte werden nicht mehr richtig dunkel. Als wir durch den Wald zu unserem Haus zurückgehen, leuchtet der Himmel durch die Bäume hindurch in Orange.

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[Sa, 17.5.2025 – Vögel auf Bäumen, Grenzen, das kalte Bett im Mai]

Natürlich wusch ich das Auto nicht mehr. Ich hätte es vorher wissen können, dann hätte ich nicht so ein Drama draus machen müssen. Ein sauberes Auto rangiert sehr weit unten auf meiner nach unten offenen Skala. Dennoch fand ich das Auto wesentlich schmutziger vor, als ich es hinterlassen hatte. Das liegt daran, dass es unter diesem einen Baum in der Strasse geparkt stand. OK, wir haben zwei Bäume in der Strasse. Oder drei. Ich will sie nicht zählen. Ich hätte den Baum meiden können. In diesen zwei Bäumen leben aber auch nicht immer Vögel, die genüsslich Autos vollkacken.

Wir fuhren trotzdem los. Kurz vor Rostock tankten wir. Meine Frau wusch währenddessen das Gröbste von der Karosserie und den Scheiben, damit wir wenigstens nicht gleich von der Grenzpolizei herausgefischt werden. Seit einigen Jahren wird an den Grenzen nämlich immer wieder kontrolliert, allerdings vor allem auf der Rückfahrt von Schweden durch die dänische Polizei, die sich die schwedische Bandenkriminalität aus Malmö vom Land fernhalten will.

Allerdings wurden wir dann nach der zweiten Fähre im schwedischen Helsingborg von einem bärtigen Polizisten angehalten. Der interessierte sich aber lediglich für meinen Alkoholpegel und reichte mir ein Blasröhrchen. Da ich erst seit wenigen Jahren Auto fahren kann, wurde ich erst zwei Mal in meinem Leben zum Pusten aufgefordert. Beide Male in Schweden. Einmal letztes oder vorletztes Jahr am frühen Morgen vor dem staatlichen Alkoholmonopol. Am Vormittag. Das ist die Zeit, wo sie die Pegeltrinker abschäumen. Bei Alkoholtests habe ich allerdings ein gutes Gewissen. Ich steuere kein Auto, wenn ich Alkohol trinke. Aber auf den Fähren, auf denen es steuerbefreiten Alkohol zu kaufen gibt, decken sich viele Männer mit Alkohol ein. Ich denke mal, dass die Kontrollen aus diesem Grund stattfinden.

Nachdem die Anzeige des Blasröhrchens „NEG“ anzeigte, verabschiedete ich mich wie ein rechtschaffener Bürger.

Auf der schwedischen Seite der Ostsee regnete es. Nach fast 4 Stunden kamen wir bei unserem Häuschen an. Es stand noch. Kein Schaden. Keine umgefallenen Bäume, kein Einbruch. Auch im Haus gab es keine Überreste einer Mäuseplage oder Kadaver von eingedrungenen und verendeten Tieren. Gab es alles schon. Lediglich ein bisschen Mäusekot am Eingang. Aber den gibt es jedes Frühjahr. Mäuse kann man nicht verhindern, die kommen überall rein. Ein paar hundert Meter südöstlich fehlt allerdings ein riesiges Stück Wald. Wir wurden bereits letztes Jahr darüber in Kenntnis gesetzt, dass die schwedische Forstgesellschaft dort ein ganzes Waldgebiet roden würde. Ich finde, das sieht gut aus. Man sieht jetzt den kleinen, felsigen Bergrücken. Früher war da nur finsterer Wald. Aber ich bin wiedermal der einzige, der das gut findet.

Im Haus ist es kalt. Wir betten die Betten, reinigen die wichtigsten Dinge, schenken uns Whisky ein und dann öffnen wir Bier. Schliesslich schieben wir eine kleine Pizza in den Ofen und dann werden wir müde. Kriechen in dieses wunderbar kalte Bett und schlafen ein.

An dieses kalte Bett im Mai muss ich übrigens sehr oft im Sommer denken. Immer, wenn ich bei der Hitze nicht schlafen kann, denke ich an dieses kalte Bett, wie ich es mit meiner Körperwärme ausfülle, zu einer wohligen Höhle.

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Die Morgensonne:

[Fr, 16.5.2025 – Focuswriter und ein paar Gedanken über die Sonne]

Seit einigen Tagen verwende ich für die Arbeit am Roman ein Programm namens Focuswriter. Das ist ein simples Schreibprogramm, das den kompletten Desktop überlagert und erstmal nur aussieht wie ein weisses, digitales Blatt Papier. Zuerst fand ich das etwas unterkomplex. Natürlich ist es hilfreich, wenn man während der Textarbeit Ablenkungen vermeidet, das wissen wir alle. Für ein Programm, das beansprucht, mich fokussiert zu halten, fand ich das dennoch etwas wenig. Erst nach etwas Rumprobieren zeigten sich mir ein paar ganz besondere Features:

  • Die Einstellung von Tageszielen mit entsprechendem Tracking
  • Dass man sich Tagesziele nach Zeit, Wortzahl oder definierter Seitenanzahl setzen kann
  • Ein Wecker
  • Dass man mit der Maus am Bildrand sich dennoch ein paar Infos rausziehen kann zB Uhrzeit, Arbeitspensum und natürlich das Menü
  • Der Hintergrund.

Ich kann es gar nicht fassen, wie wichtig mir der Hintergrund ist. Das war mir gar nicht klar. Als Hintergrund stellte ich mir vorübergehend ein ziemlich düsteres Bild unseres Waldhäuschens in Schweden ein. Die Nachbarin, die 2 km flussaufwärts wohnt, schoss das Foto Ende November für mich. Das Haus, verlassen, winterfest gemacht in einer menschenleeren Gegend. Die Laubbäume ragen blattlos wie Adern in den unheilvoll grauen Himmel. Die Wiese vor dem Haus ist braun von den gefallenen Blättern der grossen Linde. Sie faulen. Bald werden sie vom Schnee bedeckt. Bald kommt der Winter. Vielleicht morgen schon. Vielleicht dauert es aber noch. Die Tage sind schon kurz, die Sonne kommt nur noch kurz über den Horizont.

Das Foto wird in Focuswriter hochskaliert. Ich sehe nur einen kleinen Teil des Hauses. Ich sehe den grauen Himmel und die entblätterten Bäume. In der Mitte über das Haus legt sich der Text, an dem ich schreibe.

Ruhe.

Das Bild gibt mir Ruhe. Das wusste ich nicht. Wäre das Bild im Sommer geschossen, wenn die Sonne scheint und alles grün ist, bekäme ich kein Wort geschrieben. Sonne, grün, Licht, Farben. Hölle. Alles Aufregung. So schaue ich auf das Blatt mit dem Text. Links und rechts blattlose Bäume. Grau, Weiss, Schwarz. Das Jahr legt sich langsam hin, bis die Dunkelheit kommt.

Ein Nebel legt sich über mich.

Der Text fliesst dann ganz von alleine.

Dazu fallen mir die Bewohner von Longyearbyen ein, die sagen, dass sie das Leben in der Polarnacht dem Leben mit der Mitternachtssonne vorziehen. Ein bisschen zumindest. Wenn nämlich die Sonne vier Monate lang durchgehend scheint, hat man immer das Gefühl, es sei was los. Energie. Licht, Farben, Hölle.

Vor einigen Jahren las ich auf Socialmedia einen Post von einem Mann, der über einen einst tauben Menschen schrieb, der im Erwachsenenalter Gehör erlangte. Diese Person sagte, die grösste Überraschung für sie sei es gewesen, dass die Sonne kein Geräusch macht. Sie hatte eine Art Brummen erwartet. Diese Überraschung konnte ich mir richtig gut vorstellen. Jahrzehntelang begleitet dich diese leuchtende Kugel am Himmel, sie macht hell und dunkel sowie Wärme und Kälte. Diese Energie. Und dann macht sie nicht mal ein Geräusch.

Damit kommen wir zum nächsten Punkt. Die Sonne macht tatsächlich einen ungemeinen Krach. Wir können sie nur nicht hören, weil es zwischen ihr und dem Planeten, auf dem wir wohnen, keine Luft gibt und damit auch keine Schallwellen übertragen werden können. Würden wir die Sonne hören können, dann würde sie klingen, als würde sie brüllen. Ein dumpfes Brüllen. Bei 100 Dezibel. Hundert Dezibel ist die Lautstärke in Clubs, man könnte sich also nicht mehr unterhalten. Ab 110 fängt die Schmerzgrenze an.

Würde in einem solchen Szenario plötzlich die Sonne erlöschen, würden es noch 14 Jahre dauern, bis die letzten Schallwellen die Erde erreicht haben. Wir würden also 14 Jahre lang auf einem finsteren, vereisten Planeten verbringen, während uns 14 Jahre lang eine gestorbene Sonne mit hundert Dezibel anbrüllt.

Glücklicherweise würden wir ohne Sonne aber in wenigen Tagen erfrieren. Aber die Sonne geht ja auch nicht einfach so aus. Sie würde zu einer Supernova explodieren. Von der Kälte würden wir deswegen gar nichts mitbekommen.

Morgen früh fahren wir jedenfalls nach Schweden. Ich freue mich sehr und bin gespannt, wie das Haus den Winter überstanden hat.

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