[So, 28.9.2025 – Qoornoq, Lachs, Eisberge, Lille Malene, Bier, Moschusochsen-Tartar]

Meine Frau versucht wöchentlich, immer mindestens 30 verschiedene Pflanzen zu essen. In Berlin ist das kein Problem. In Island war es schon etwas schwieriger. Zum Frühstück gab es beispielsweise nur noch 3 Arten Obst, zudem blasse und wässrige Tomaten mit ein paar geschnittenen Gurken. Heute zum Frühstück in Nuuk gab es Käse und Wurst. Außerdem Haferflocken und Joghurt. Haferflocken zählen als Pflanze.

Ich hatte nicht bedacht, dass Grönland außerhalb der EU liegt und sich damit außerhalb der Roaming-Regelung meines Telefonanbieters befindet. Zwar befinden sich auch Norwegen und Island außerhalb der EU, aber mit denen gibt es eine spezielle Vereinbarung. Mit Grönland hingegen nicht. Am Flughafen verschickte ich zwei Fotos und schon erhielt ich die Nachricht, dass mein Auslandsguthaben von 49€ aufgebraucht sei. Im Hotel gab es natürlich WLAN, so konnte ich immerhin herausfinden, wie ich jetzt am besten weitermache. Der Support meines Anbieters hat keine Verträge mit Grönland und keinerlei Plan, wie er mit meiner Situation umzugehen hat. Auf dem Schreibtisch des Zimmers liegt aber ein Werbeprospekt von Tusass, das ist die lokale Telekom, die mit zeitlich begrenzten eSIMs wirbt. Ich ahne ein gutes Geschäftsmodell mit den vielen überraschten Touristen. Das Prospekt liegt nicht umsonst im Hotelzimmer auf. Ich überwies der Tusass 40 € und erwarb damit eine 7 Tage gültige eSIM.

Um 9 Uhr sollten wir am Hafen sein, weil wir eine Bootstour durch den Nuukfjord gebucht hatten. Unser Kapitän war ein junger Grönländer Ende zwanzig. Ihm zur Seite stand eine junge Grönländerin, die kurz vorher mit einem dicken Geländewagen im Hafen vorgefahren wurde. Sie entstieg dem Auto wie ein Alien. Sie trug langes blondes Haar und war in einem türkisfarbenen Jumpsuit aus Samt gekleidet. Darüber eine offene, glänzende Winterjacke von Boss und an den Füßen Sneakers, die auch in Science-Fiction-Filmen getragen werden. Dazu eine auffällige Sonnenbrille von Dolce & Gabbana und eine schicke Tasche, deren Marke ich nicht erkennen konnte. Sie setzte sich im Boot eine Reihe vor uns und wickelte uns in Gespräche ein. Man konnte sie alles fragen, sie wusste alles über Restaurants in Nuuk und auch über Grönland im Allgemeinen. Wenn sie etwas nicht wusste, zog sie ein pinkfarbenes iPhone heraus und recherchierte mit ihren langen, pinken Fingernägeln danach. Während der ganzen Fahrt wurde mir ihre Rolle nicht ganz klar. War sie ein Love-Interest des jungen Kapitäns, oder war sie die Tochter des Besitzers? Während wir Touris zwei Mal an Land gingen, blieben die beiden auf dem Boot. Einmal fuhren sie ein Stück in die Bucht hinaus und warfen dort den Anker aus. Als sie eine Stunde später ans Ufer zurückkamen, hörten sie noch lauten dänischen HipHop auf einer Bluetoothbox. Wir lachten. Wie sich später herausstellte, ging sie noch zur Schule, würde später aber im Grönlandtourismus arbeiten.

Wir fuhren jedenfalls zuerst zwei Stunden in Richtung Norden und gingen in einem kleinen Ort namens Kapisillit an Land. Kapisillit heißt übersetzt „Lachs“, weil – genau – es dort viel Lachs gibt. Um genau zu sein, sind die beiden dort endenden Flüsse die einzigen Orte in Grönland, an denen die Lachse noch natürlich laichen. Das Dorf liegt auf einer schönen, offenen und sonnigen Landzunge. Die Häuser sind auch hier wahllos charmant durch die Gegend gewürfelt. Es gibt einen Laden und eine Kirche sowie eine Grundschule. Der Laden schließt um 12 Uhr mittags und öffnet erst später am Nachmittag. Er hält für unser Boot nicht die Tore offen. Wir sehen noch jemanden aus dem Laden kommen, aber hinein darf niemand mehr. 12 ist 12. Wir spazierten durch den Ort und machten Fotos. Unten auf einer offenen Fläche auf Tundraboden sitzen 5 grönländische Männer zusammen auf einer Holzbank vor etwa einem Dutzend Bierdosen und scheinen eine gute Zeit zu haben. Sie winken uns Touristen zu und lächeln. Wir winken zurück und lächeln auch. Nach einer Stunde gehen wir zurück ins Boot und ich frage den Kapitän, was die Kinder eigentlich machen, wenn sie aus der Grundschule raus sind. Er sagt, dass sie nach Nuuk müssen, und ich frage, was die Eltern dann tun. Schließlich sind die grönländischen Dörfer und Städte nicht durch Straßen miteinander verbunden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Kinder jeden Tag 4 Stunden mit dem Schiff nach Nuuk pendeln. Er sagt mir, dass die Eltern dann eigentlich immer mit den Kindern nach Nuuk umziehen und auch dort bleiben. Dörfer wie Kapisillit werden bald aussterben. Wir hätten ja sicherlich die vielen verlassenen Häuser gesehen.

Danach fuhren wir den Fjord weiter nördlich. Es häuft sich die Anzahl kleiner Eisberge, die immer größer werden. Dann biegen wir in den Eisfjord ein, einen breiten Wasserarm, der mit kleinen und großen Eisbergen übersät ist. Wir machen viele Fotos und hängen dort an verschiedenen Stellen mit dem Boot herum. Der Kapitän fischt uns ein kleines Stück schwimmendes Eis aus dem Wasser und reicht es mir. Es ist so klar und sauber wie ein Stück Glas. Er sagt, das sei schwarzes Eis. Sehr gefährlich für kleine Boote, vor allem für Segelschiffe, weil man sie nicht gut sieht. Es gibt weißes Eis, blaues Eis und schwarzes Eis. Schwarzes Eis ist fast durchsichtig. Und sehr alt. Das Stück, das ich jetzt in der Hand halte, ist mehrere tausend Jahre alt und wird demnächst zu Wasser verschmelzen.

Nach dem Eisfjord legen wir auf Qoornoq Island an. Das ist eine kleine Insel mit etwa 40 Häusern. Die Häuser sind alle seit den Sechzigerjahren verlassen. Damals hatte der Kabeljauwbestand einen Tiefpunkt erreicht und in Nuuk gab es gerade einen wirtschaftlichen Aufschwung. Es wurden große Fischfabriken gebaut und die Regierung förderte den Umzug der Bewohner ins nahegelegene Nuuk. Der letzte Bewohner verließ das Dorf in ’72. Die Frauen kamen in Nuuk prima zurecht. Sie erhielten Jobs in den Fabriken, die Männer hingegen taten sich schwerer und verfielen dem Alkohol. Der Kapitän erzählte von den Frauen, die in Nuuk auf einmal Kleider kaufen konnten und nach Hause gingen, um sie ihren Männern zu zeigen, die den ganzen Tag mit Bier und Wodka auf dem Sofa saßen. Die Geschichte kommt mir ein bisschen zu klischeehaft vor, aber sie bringt den Inhalt rüber.

Qoornoq ist wieder so ein unglaublich schönes Dorf, in dem Holzhäuser mit spitzen Dächern in die Tundra gewürfelt wurden. Qoornoq liegt zudem auf einer schmalen Landzunge und ist von zwei Seiten von Wasser umgeben, in dem sich die Eisberge stapeln. Das Dorf ist nicht ganz so verlassen, wie es scheint. Offenbar wurden einige Häuser von den Nuukern als Sommerhäuser wiederbelebt. Wir liefen an drei Häusern vorbei, auf deren Verandas Menschen mit einer Tasse Kaffee in der Sonne saßen und uns zuwinkten. Bei einem Paar blieb ich kurz stehen. Die Frau war eine Inuit und der Mann ein Europäer, vermutlich Däne. Die Frau sagte: „Welcome to Qoornoq.“ Zwischen dem ersten „Q“ und dem Rest des Wortes legen die Grönländerinnen eine kurze Pause ein. Es klingt, als würde sie das „Q“ an das voranstehende Wort hängen. Sie sagt daher „Welcome toq Oornoq“

In dem Moment fühlte ich, dass ich irgendwas sagen muss, und sagte etwas unvermittelt: „This is a place of happiness.“ Nachdem ich das ausgesprochen hatte, kam ich mir total verstrahlt vor. Aber sie nickten beide verständnisvoll.

Gegen 18 Uhr waren wir wieder zurück in Nuuk. Um 19 Uhr hatten wir einen Tisch im Nivi, einem Restaurant mit grönländischen Tapas, reserviert. Besonders beeindruckend fanden wir den „Seared Tuna“, also angebratenen Thunfisch, was jetzt sehr unspektakulär klingt, aber der Bratvorgang muss höchstens eine halbe Sekunde gedauert haben, weil nichts daran angebraten aussah. Jedoch war der noch rohe Fisch von einer seltsam milchigen Patina umgeben, die himmlische Dinge auf der Zunge tat. Neben dem Thunfisch muss ich auch das Moschusochsen-Tartar erwähnen und in der zweiten Runde gab es noch kleine Miniburger mit Moschusochsen-Pattys. Hatte ich noch nie und fand ich erstaunlich gut. Wesentlich saftiger als Rentierfleisch.

Nun.

Nach dem Essen und zwei großen Bieren von der lokalen Qajaq-Brauerei wurden wir müde und gingen zurück ins Hotel. Auf dem Rückweg sahen wir, dass unsere Aurora-App eine leicht erhöhte Polarlichter-Aktivität anzeigte. Also standen wir eine Weile vor unserem Hotel herum und sahen ein paar ganz schwache Erscheinungen am Himmel. Das Foto unten gibt es stärker wieder, als es in Wirklichkeit aussah. Diese schwachen Lichter sind mit bloßem Auge nicht sehr spektakulär. Aber das wusste ich vorher schon.

Tag 2.

Für heute hatten wir eine dreistündige, geführte Wanderung auf die Lille Malene gebucht. Das ist der kleine Hausberg östlich in der Bucht von Nuuk. Unser Führer war ein 27-jähriger Mann aus dem Süden von Grönland. Wir sind die einzigen Teilnehmer, was ich gut finde. So kann ich mich mit dem jungen Mann unterhalten und alle meine Fragen loswerden. Wir kommen unweigerlich auch auf das Thema Trump und USA zu sprechen. Während die beiden jungen Leute gestern auf dem Boot Trump und seine Annexionsfantasien ganz furchtbar fanden, wich der heutige Mann meiner Frage etwas aus. Er sagte, die Meinungen dazu seien in Grönland ja sehr gespalten. Die eine Hälfte möge Trump und die andere nicht. Er möchte nicht über Politik reden, aber er stellt halt schon fest, dass, seit Trump das Thema auf den Tisch gebracht habe, der Tourismus boomen würde. Menschen aus aller Welt kämen plötzlich ins Land und das sei ja schon gut für seinen Beruf und seine Familie. Spontan wollte ich sagen, dass der Tourismusboom vielleicht eher mit dem neuen Flughafen zu tun hat, der im April dieses Jahres geöffnet hat. Sogleich beschließe ich aber, das Thema abzubrechen. Ich habe keine Ahnung, ich habe wirklich keine Ahnung. Ich sollte als dahergekommener weißer Europäer wirklich nicht herkommen und Einheimische belehren.

Stattdessen erfasste mich plötzlich eine Angst vor Eisbären. Auf einmal merkte ich, dass jeden Moment ein Eisbär auftauchen könnte, und morgen würde der Tagesspiegel titeln, dass ein Berliner Touristenpaar in Grönland von einem Eisbären gefressen worden ist. Unser Führer trug kein Gewehr. Ich weiß, dass in der Gegend von Nuuk Gewehre nicht üblich sind, da in diesem Teil des Landes eigentlich nie Eisbären gesichtet werden. Allerdings lief letztes Jahr ein Eisbär über den Runway des Flughafens. Ich habe viel über Eisbären gelesen, wirklich viel. Was ich von Eisbären weiß, ist, dass sie immer aus dem Nichts auftauchen. Und plötzlich wird man gefressen. Über Bären im Allgemeinen habe ich gelernt:

* ist der Bär schwarz, mach dich groß

* ist der Bär braun, mach dich klein

* ist der Bär weiß, ist es vorbei

Da er kein Gewehr bei sich hatte, bedeutete es für mich: Wir können heute sterben. Ich wollte ihn fragen, wie er sich verhalten würde, wenn jetzt in diesem Moment ein Eisbär vor uns auftauchen würde. Allerdings traute ich mich nicht, ihm die Frage zu stellen, weil ich fürchtete, dass er kein Konzept hat. Als wir aber am Ende der Wanderung angekommen waren, fast unten bei den Containern, war ich jedoch mutig genug.

Seine Antwort fiel recht einfach aus. Er sagte, wir müssten uns groß machen und beobachten, wie er sich verhält. Groß machen. Soso. Ich war froh, dass ich ihm die Frage erst am Ende der Wanderung stellte. So konnte ich mich unterwegs den Fantasien hingeben, wie ich den Bären mit Steinen in die Flucht zu jagen versuchte.

Andere Sache: die Raben. Die sind hier unglaublich groß – und auch laut. Wenn sie auf dem Dach dieser 12-stöckigen Hochhäuser thronen und ihre Rabenlaute von sich stoßen. Oder wenn sie über die Stadt fliegen. Man sieht sie und hört sie ständig. Als ich gestern dem Kapitän davon berichtete, wie sehr mich die Raben in Grönland beeindruckten, nannte er sie „die Bringer des Lichts“. In der Mythologie der Inuit waren die Raben vor den Menschen auf der Welt und brachten das Licht.

Zurück in Nuuk besuchten wir noch das Einkaufszentrum, in dem sich einige Läden mit grönländischen Waren befanden. Vermutlich werde ich mir eine kleine Tasche aus Robbenfell kaufen. Die ganz kleinen für Telefon und Hundekacktüten. Die sehen sehr schön aus und kosten gar nicht viel. Oder ein paar Handschuhe fürs Radfahren bei eisigen Temperaturen. Ganz sicher bin ich mir aber noch nicht, weil ich mich in Berlin sicherlich die ganze Zeit dafür rechtfertigen muss und erklären, dass die durch Inuit erfolgte Robbenverwertung ökologisch sowie sozial nachhaltig ist und blabla. Robbenfell zu kaufen ist unbedenklicher, als ein Steak zu essen.

Aber will ich diese Diskussion ständig führen?

Danach waren wir platt. Wir ruhten uns ein paar Stunden im Hotel aus, liefen später aber noch einmal zurück ins Zentrum, um eine Pizza zu essen. Nach dem Essen wollte ich unbedingt noch ins Daddys, das ist der Pub, in dem sich die jungen Leute treffen. So sagte es mir die junge Frau auf dem Boot. Wir sollten aber nicht ins Maximut gegenüber, weil sich da nur die alten Grönländer betranken und es ständig Schlägereien gäbe. Das war ein guter Hinweis. Das Maximut stand nämlich auch auf meiner Liste. Nach der Pizza und dem Bier schwand aber unsere Energie. Wir schafften es immerhin noch, die zwanzig Minuten hinunter ins Hotel.

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[Fr, 26.9.2025 – Keflavik, Nuuk]

Isländerinnen trinken morgens zum Frühstück einen Shot Lebertran vom Kabeljau. Neugierig, wie wir sind, machen wir das natürlich auch. Es schmeckt unaufgeregt, wie Rapsöl, mit einem ganz leichten Hauch von Fischgeruch. Kann man gut machen. Davon wird man offenbar 100 Jahre alt, oder es schützt vor Krebs, kann mich nicht mehr genau erinnern, vermutlich beides.

Vormittags musste meine Frau arbeiten. Da ich um 11 Uhr auszuchecken hatte und es draußen regnete, hing ich im Hotelzimmer ab und nach dem Checkout unten in der Lobby auf irre bequemen Ledersofas.

Für morgen in Nuuk hatten wir eine Bootstour mit einer Wanderung über die Tundra zu einem verlassenen, aber traumhaft schönen Fischerdorf gebucht. Heute schrieb mir ein Mann namens Ivik, dass wir die einzigen seien, die diese Tour gebucht hätten, und er uns deswegen kostenlos auf die doppelt so teure und doppelt so lange Fjordtour upgraden möchte. Ich sagte natürlich zu. Das Fischerdorf wird auch Teil der Tour sein, aber zusätzlich werden wir zwischen Eisbergen und Gletschern herumschippern. Das ist sicherlich toll, auch wenn wir viel Zeit auf einem dieser Boote verbringen werden, was ich ja eher so mittelmäßig spannend finde.

Vom prognostizierten Regen haben wir in Island wenig abbekommen. Auf der Wanderung vom Mittwoch wurden wir von spektakulärem Wetter begleitet. Dramatische Wolken und nicht zu viel Sonne.

Der Reiseplan sah jetzt vor, dass wir unsere Handgepäckkoffer vom Gewicht befreien, damit wir von 10kg runter auf 6kg pro Gepäckstück kommen. Der Flug nach Grönland ist speziell, es gibt dafür besondere Regeln. Den Grund dafür habe ich noch nicht verstanden, er wird sich mir aber sicherlich erschließen. Beim Online-Check-in stellte sich allerdings heraus, dass wir den Flug mit einem extra Koffer gebucht hatten. Das war im Januar passiert. Daran konnte sich keiner von uns beiden mehr erinnern. Heute waren wir dankbar dafür. Zwar gilt nach wie vor die 6-kg-Regel für das Handgepäck, aber unter diesen Umständen können wir einfach alles, was Gewicht hat, in der größeren Koffer stopfen.

Das Flugzeug nach Nuuk war dann eine ganz gewöhnliche 767 mit viel Platz. Unser Handgepäck wurde auch nicht gewogen. Keine Ahnung, was es mit den Sonderregelungen für das Gepäck auf sich hat. Eventuell stammt die Vorgabe noch aus früheren Zeiten. Der Lufthafen in Nuuk wurde schließlich erst letztes Jahr zu einem internationalen Airport ausgebaut. Bis vor kurzem konnten hier nur kleinere Flugzeuge landen. Das ist meine Theorie. Aber es gab niemanden, den ich als kompetent genug erachtete, um mir eine solche Frage zu beantworten.

Der Flug dauert 2 Stunden und ein bisschen. Man fliegt die ganze Zeit über das Nordmeer und irgendwann tauchen in der Ferne die ersten Gletscher auf. Ich wunderte mich über die vielen Schiffe vor der Küste. Als meine Frau mit dem Telefon einzoomte, konnte man allerdings erkennen, dass es sich um Eisberge handelte. Das fand ich schön. Danach fliegt man eine ganze Zeit lang über den Eispanzer, gegen Ende hin wird es steiniger und dann sinkt man hinab, um in Nuuk zu landen. Jetzt haben wir 3 Stunden Zeitunterschied mit Berlin. Es gibt am Flughafen wenige Beschilderungen und auch keine Infostände. Man merkt, dass der Betrieb hier noch nicht so lange läuft. Aber alle sind freundlich und scheinen gut gelaunt. Als wir die Busse nicht finden konnten, war ich etwas verloren. Am Ende der Halle erblickte ich eine Grönländerin in Uniform, die ich um Hilfe bat. Sie sprach sehr einfaches Englisch und rief auf ihrem Telefon den Busplan auf. Der letzte Bus war bereits um 17 Uhr losgefahren. Jetzt war es aber schon halb 20:30. Wir wichen also auf ein Taxi aus.

Nuuk hat eine seltsame Siedlungsstruktur. Die Stadt ist auf einer sehr felsigen Halbinsel gebaut. Die Häuser wirken, als hätte man sie wahllos über die Insel gewürfelt, das wirkt irgendwie sympathisch. Dabei handelt es sich um interessante, moderne Wohngebäude, einen Stil, den man in Amsterdam und Kopenhagen auch sieht. Zwischendrin immer wieder auch grau bemalte Holzhäuser. Unser Hotel befindet sich in einem Gewerbegebiet am südlichen Ende der Halbinsel, oder zumindest müssen wir durch ein Gebiet von Autowerkstätten und Wellblechscheunen fahren. Hier erinnert es mich wiederum an Alaska, dem nicht-so-nicem Alaska, also dort, wo eine perspektivlose Jugend sich dem Alkohol hingibt. Das ist nur die Assoziation, die ich habe, ich schaue zu viel fern. Die Leute sind hier alle so gut gelaunt. Auch die junge Hotelangestellte an der Rezeption. Sehr freundlich. Sehr freundlich, aber langsam. Langsam im Aufnehmen meines Anliegens und langsam im Formulieren einer Antwort. Das fiel mir bereits bei der Flughafenangestellten auf. Freundlich, aber langsam.

Irgendwie verstrahlt. Das ist durchaus angenehm. Zumindest so lange ich nicht von der Ungeduld befallen bin. Und das kommt bei mir schon mal vor.

Obwohl wir schon seit 3 Tagen mit zwei Stunden Zeitverschiebung leben, merken wir diese zusätzliche Stunde heute an unserer fehlenden Energie. Wir beschließen, früh ins Bett zu gehen.

[Do, 25.9.2025 – Reykjavík]

Vormittags ging ich mit meiner Frau in ein paar Islandshops, vor allem wegen dieser Islandpullover, die den Norwegerpullis ähneln, aber ein anderes Muster haben. Sie findet, dass mir solche Pullis stehen müssten, ich bezweifle das aber. Ich probierte einige an und sollte schließlich recht behalten. In diesen Pullis wirke ich etwas aufgeblasen. Außerdem ist dieses kreisförmige Muster für meine Schultern nicht sehr vorteilhaft. Ich wirke darin buckelig und schmalschultig. Dabei habe ich keine schmalen Schultern, die dadurch vielleicht betont würden, daher muss es eigentlich alle Menschen betreffen, die solche Kleidungsstücke tragen. Es ist seltsam.

Nachher setzen wir uns in ein ungemein schönes Café namens IDA, ein Buchcafé nach eigener Aussage. Es ist luftig, groß, gleichzeitig skandinavisch kleinteilig. Überall stehen Bücherschränke, Leute lesen Bücher am Fenster oder schreiben. So ein Lokal würde ich mir in Berlin auch wünschen. Ein bisschen ähnelt es dem „Shakespeare and Sons“ in der Warschauer, aber das ist immer so überlaufen, dass man sich nicht in Ruhe unterhalten, geschweige denn lesen kann.

Gegen Mittag bringe ich meine Frau ins Kongresszentrum und ich mache einen kleinen Spaziergang durch die Laugavegur. Bis hinauf zum Hotel, in dem wir vor 13 Jahren waren. Reykjavik fühlt sich wesentlich lebendiger an, als damals. Das sagte ich gestern auch unserem Tourleiter. Der bestätigte mir diese Beobachtung, die er auf die Bankenkrise von 2008 zurückführte. Damals sind viele Menschen in Island in die Armut gerutscht. Die Krise hatte viele Firmen und auch den Handel mit in die Pleite gerissen. Seit etwa 10 Jahren gehe es aber wieder bergauf und damit sei auch das Leben auf den Straßen zurückgekehrt.

Das Personal in Geschäften, Bars, Hotels und Restaurants besteht übrigens hauptsächlich aus Immigranten. Vor allem aus Südamerika, aber auch Ost- und Südeuropa sowie Indien. Wie auch überall sonst in Europa. Einheimische arbeiten nicht mehr als „Personal“. Unser Tourleiter Leifur sagte gestern, die zweitgrößte Minderheit Islands seien neuerdings die Katholiken. Ich wollte zuerst lachen, dann war ich mir aber nicht mehr sicher, ob das lustig ist.

Da mein Haar unmöglich lang geworden ist, suchte ich einen Friseurladen in der Skólavörðustígur auf, die sogenannte Regenbogenstraße, die hinauf auf den Berg zur Reykjaviker Kathedrale führt. Der Friseurladen hatte aber keinen freien Slot für mich. Also verwarf ich den Plan wieder und ging weiter hinauf zu diesem Buchladen mit dem komplizierten Namen. Da war ich schon vor 12 Jahren. Damals entdeckten wir genau dort diese Comics mit den lustigen und geschmacklosen Strichmännchen. Seitdem sind wir Fans von Hugleikur Dagsson. Ihm ist immer noch ein halbes Regal gewidmet. Es gibt eine Neuausgabe mit 500 Seiten für 40€.

Ich checkte die Auswahl an Übersetzungen. Es dürfte finanziell nicht sehr attraktiv sein, für 300.000 Menschen Bücher auf den Markt zu bringen. Es gibt vor allem Thriller und Krimis, Ann Cleeves und einige Stephen-King-Bände. Auch Sally Rooney. Sonst finde ich wenig Zeitgenössisches. Übersetzungen aus dem Deutschen gibt es nur von Klassikern. Goethe natürlich und Effi Briest, die auf Isländisch Effì Briest mit einem Akzent auf dem i geschrieben wird. Übersetzt wurde auch Coetzees „Waiting for the Barbarians“, aber wiederum nicht das wesentlich bekanntere „Disgrace“ Dafür viele English Books. So gut wie alles von Murakami und vieles wieder von Stephen King. Eine der Verkäuferinnen sprach mich an und fragte, ob ich etwas Bestimmtes suchte, was ich gleich als Gelegenheit nutzte, zu sagen, dass ich mich über die vielen Übersetzungen ins Isländische wunderte, dass das ein Gedanke war, der mir vorher nie gekommen war. Sie fragte mich, was mich daran wunderte. Ich sagte, dass ich mich halt wunderte, ob es denn lukrativ sei, für ein Volk von 300.000 Menschen Bücher zu übersetzen. Ich strengte mich an, nicht wie ein schnöseliger Naseweis zu klingen, sondern mein echtes Interesse zu zeigen. Sie sagte: „Wir sind 400.000 Menschen und nicht 300.000.“ Sie war freundlich, aber kurz angebunden, möglicherweise gefiel ihr mein Kommentar nicht, doch sie fügte hinzu, dass es sich für manche Bücher durchaus auszahle. Sally Rooney zum Beispiel. Dann ging sie weiter ihrer Arbeit nach. Ich sah aber auch keine Übersetzungen von zeitgenössischen skandinavischen Größen wie Knausgård oder Jonas Hassen Khemiri. Isländerinnen sprechen ja nicht Norwegisch oder Schwedisch, was bedeutet, dass sie zeitgenössische Literatur aus ihrem eigenen Kulturraum (zumindest gehe ich davon aus, dass sie sich dem skandinavischen Kulturraum zugehörig fühlen) nicht lesen können oder auf englische Übersetzungen zurückgreifen müssen. Das beschäftigte mich total. Oder was ist mit isländischen Autorinnen. Ich meine, wer macht sich die Mühe, ein Buch auf Isländisch zu schreiben. Bei einem Markt von wesentlich weniger als 400.000 Menschen ist es nicht schwer, zu erraten, wie wenig lukrativ das sein wird. Ich kann mir wiederum auch nicht vorstellen, dass isländische Autorinnen ihre Texte auf Englisch verfassen. Was macht das mit der lokalen Kultur. Die Frau war jetzt aber bei den Regalen in ihre Arbeit vertieft. Ich wurde meine Fragen nicht mehr los. Überhaupt renne ich hier ständig mit tausenden Fragen herum, und es gibt niemanden, der sie mir beantworten kann. Gestern beim Tourenleiter kam ich mir irgendwann wie ein eifriger Schüler vor, der ständig mit Fragen löchert. Immerhin weiß ich jetzt, dass Deutschland der größte Abnehmer isländischen Aluminiums ist, weil Strom hier so unfassbar günstig ist und gleichzeitig zu 100% aus erneuerbaren Energien gewonnen wird. Allerdings sah ich bisher keine Windräder. Bei diesem ständigen Wind, – und mit ständigem Wind meine ich wirklich ständigen Wind – fühlt es sich an wie eine verspielte Chance, aber das hat vielleicht andere Gründe.

Im Buchladen fand ich auch das Buch von Ásta Sigurðardóttir. Besser gesagt, ich fand es nicht beiläufig, sondern suchte explizit danach. Ich hatte gehofft, eine besondere Geschenkausgabe zu finden, stattdessen gab es nur ein etwas lieblos gestaltetes Taschenbuch.

Schließlich ging ich den Weg hinauf zur Kathedrale. Dieser von weitem sichtbare expressionistische Sakralbau. Wegen ihrer Ästhetik lässt mich die Kirche eher an eine Pilgerstätte für Tolkienfans denken, tatsächlich zitiert sie aber Basaltformationen und Gletscher. Von innen ist sie der Neugotik nachempfunden, allerdings ganz in Weiß. Überhaupt ist die Kirche hell, angenehm, leicht, nicht nur wegen des hohen Innenschiffs. Außerdem sind die Kirchenstühle gepolstert, ich hätte ewig sitzenbleiben können. Ich saß eine ganze Weile auf einer der Bänke und driftete mit meinen Gedanken ziemlich ab.

Um 17 Uhr traf ich meine Frau. Heute wollten wir früh essen und vielleicht auch früh ins Bett. Wir aßen wieder einen Burger für 30 Euro. Ah, das hatte ich noch gar nicht erwähnt. Speisen in Island kosten unfassbar viel Geld. Vor 12 Jahren schon kostete eine kleine und ziemlich schlechte Pizza 27€. Wir hatten aus einer naiven Annahme heraus gedacht, dass sich das mittlerweile geändert haben dürfte, aber das Preisniveau hat sich seitdem nicht geändert. Eine Pasta kostet 30 Euro, der günstigste Burger auch. Ein Glas Bier: 13 Euro. Den Preis für einen Cappuccino habe ich vergessen. Ich schaue gar nicht mehr hin.

[Mi, 24.9.2025 – Reisetag, Reykjanes, Grindavik, Fish&Chips]

Um zehn Uhr brachte ich die Hündin zur Nachbarin. Als ich mich verabschiedete, winselte und weinte mein Lieblingstier. Nachdem ich weg war, schrieb mir die Nachbarin aber, dass sie mittlerweile spielte und ganz entspannt sei. Sie weiß vermutlich, wie sie an meinen Gefühlsknöpfen schrauben muss. Die Hündin meine ich.

Meine Frau und ich fuhren direkt zum Flughafen. Sie wollte drei Stunden vor Abflug da sein. Ich finde das viel zu früh, aber meine Frau sitzt lieber länger am Flughafen herum und schlägt sich dort die Zeit tot, als in Stress zu geraten. Zudem hatte es am Sonntag ja diese Cyberattacke am BER gegeben, wer weiß, ob das schon alles gelöst ist. Da wir einen großen Koffer aufgeben mussten, stellte sich meine Frau an den Check-in-Schaltern an, während ich an der Seite wartete. Wir wurden über die Lautsprecher informiert, dass es wegen einer Cyberattacke am Wochenende zu Verzögerungen kommen wird.

Um es ein wenig abzukürzen: Jede einzelne Passagierin wurde mit Stift und Papier abgefertigt. Die Computersysteme funktionierten offenbar immer noch nicht. Eine Viertelstunde später kamen die Mitarbeiterinnen meiner Frau. Dazwischen war die Schlange bereits zu einem beeindruckenden Reptil angewachsen. Bis meine Frau an die Reihe kam, waren 2 Stunden vergangen. Immerhin schienen die Sicherheitsschleusen weniger stark von der Attacke betroffen sein, dort stauten sich die Menschenmassen zwar auch, aber in einer halben Stunde kamen wir durch. Mittlerweile hatte das Boarding unseres Fluges begonnen, also gab es keine Zeit mehr für einen Kaffee und ein Mittagessen. Wir würden gegen 17 Uhr in Reykjavik sein, das würde ich schon durchhalten. Auf dem Flieger trinke ich einzwei Biere und am Abend belohne ich mich mit einem Burger.

Allerdings wurde auch das Boarding mit Stift und Papier erledigt. Pünktlich zur Abflugzeit saßen wir in einem ziemlich leeren Flugzeug. Meine Frau erhielt ständig Updates von ihren Mitarbeiterinnen. Der eine stand noch beim Check-in, die andere immerhin schon bei der Sicherheitsschleuse. Um auch das ein wenig abzukürzen: Wir saßen zwei Stunden lang in einem sich erwärmenden Flieger ohne Klimaanlage, um auf alle Passagiere zu warten. Vom langen Stehen und dem mittlerweile auch langen und beengten Sitzen war ich mittlerweile erschöpft. Jetzt kam noch die Hitze dazu. Aber nach zwei Stunden gingen der Motor und auch die Kühlung an. Bis ich selbst einigermaßen heruntergekühlt war, flogen wir längst überm Nordmeer hinter den Färöern.

Mit zwei Stunden Verspätung landeten wir schließlich in Keflavik.

Um das Flughafenpech abzurunden, sollte ich noch erwähnen, dass die Airline das Gepäck verschlunzt hat. Nicht unser Gepäck, unser Koffer lag auf dem Band, aber nach der dritten Kofferrunde und vielen fragenden Gesichtern dämmerte uns langsam, dass das Gepäck der Mitarbeiterinnen nicht dabei war. Mussten wir uns also auch noch kümmern.

Dadurch verpassten wir zwei Shuttlebusse, aber der Tag würde hier noch zwei Stunden länger dauern und ich würde mich weiterhin mit einem Burger belohnen. Es ist alles nicht so schlimm, wenn man es sich einredet. Im Shuttle setzten wir uns vorne in die erste Reihe. Wir hatten die große Sicht auf die Straße und das Land. Wir ließen den Regen, die Straße und das Vulkangestein eine Stunde lang auf uns einwirken.

Gegen 22 Uhr Berliner Zeit kamen wir im Hotel an. Ziemlich genau 10 Stunden nachdem wir von zuhause los sind. In Reykjavik war es erst 20 Uhr. Wir verließen gleich das Hotel und gingen hinunter in die Altstadt, setzten uns in ein Lokal, das wir vorher ausgesucht hatten, ich aß einen Burger und trank dazu ein Bier. Meine Frau nahm eine Lachspeise. Nach dem letzten Bissen setzte das Futterkoma ein und ich beendete diesen sehr anstrengenden Tag-

Tag 2

In Berlin wache ich üblicherweise zwischen 6:30 und 6:35 ohne äußeres Zutun auf. Heute schaute ich auf die Uhr und es war: 4:33. Mein Berliner Schlaf verfolgt mich bis nach Island.

Skyr. Fürs Protokoll: Es gab am Frühstücksbuffet keinen Joghurt zur Auswahl, nur diesen trockenen Skyr.

Eigentlich wollte meine Frau heute arbeiten. Wir haben aufgrund der Wetterprognose für Donnerstag (starker Regen) unsere Exkursion um einen Tag nach vorne schieben können. Also nahmen wir heute gleich an einer Tour auf die Halbinsel Reykjanes teil, wo wir die Gegend der jüngsten Vulkanausbrüche besuchen würden. Wir kannten die Gegend aus unserem Besuch von vor 13 Jahren. Das kleine Hafenstädtchen Grindavik ähnelt heute einer Kulisse aus „The Walking Dead“, mit seinen verlassenen Häusern, die alle noch intakt scheinen. Nur der Rasen in den Vorgärten ist ungewöhnlich ungemäht. Manche Häuser stehen wegen des verrutschten Bodens schief, die meisten sind jedoch völlig intakt. Aber der Untergrund ist halt nicht mehr gut. Es kann sich eigentlich jeden Moment ein Spalt öffnen. Unser Tourenleiter Leifur erzählte, dass sich die geologischen Aktivitäten an dieser Bruchlinie jedoch etwas mehr nach Norden verschoben hätten. Eventuell würde sich in Grindavik die Lage wieder entspannen. Aus diesem Grund sind einige Bewohner wieder in ihre Häuser zurückgekehrt. Ein Hotel hat sogar wieder eröffnet. Aber die meisten Menschen sind weggezogen und werden nie wiederkommen. Auch ein Fish&Chips Restaurant hat wieder eröffnet. Dort kehrten wir ein und aßen etwas. Wir waren nur eine kleine Gruppe aus 8 Menschen. Ein Paar aus Spanien, ein anderes Paar aus Quebec und zwei alleinreisende Männer. Einer kam aus Chicago, der andere schwieg die ganze Reise lang.

Nördlich am Ortseingang hatte man einen riesigen Damm gebaut, um die nähernde Lava nach Westen hin abzuleiten. Dummerweise öffnete sich der Boden aber auch diesseits des Dammes, also baute man einen neuen Damm. Nach sechs Wochen hörte der Alptraum auf. Dafür öffnete sich 2 Kilometer nördlich der Boden, nahe des Kurbades „Blue Lagoon“. Auch dort fuhren wir hin und wir liefen auf einem frisch versteinerten Lavafeld aus dem März dieses Jahres herum. Ich machte Fotos davon, es ist aber schwer, die Wirkung eines solchen Feldes als Bild festzuhalten.

In der Exkursion war auch eine etwa zweistündige Wanderung über den Bergrücken eines alten, mittlerweile erloschenen Vulkans unweit von Grindavik inbegriffen. Von dort aus hatte man einen großartigen Blick über die Ausbrüche von 2021 und 2022, die eigentlich die Vorboten für die Zustände in Grindavik gelten. Aber das konnte man damals noch nicht voraussehen. Diese Ausbrüche fanden in höhergelegenen Gegenden statt, sodass die Lava sich wie Schokolade an Hängen von den Bergen hinunter ins Tal ihren Weg bewegte. Von unserer Sichtwarte aus, sah es aus, wie Schokoladekuchen.

Es ist langweilig, Landschaften zu beschreiben. Vor allem, wenn die Landschaft für so viel Reizüberflutung sorgt wie hier. Ein Detail gefiel mir jedoch gut. Das fiel mir erst auf, als ich ein bisschen auszoomte. Als wir von Grindavik über die Autobahn zurück nach Reykjavik fuhren. Diese extrem weite Steinlandschaft mit unzähligen moosbewachsenen Lavaformationen. Wenn man auszoomt, sieht man diese unglaublich weite, baumlose Fläche. Man kann bereits die 30km entfernten Vororte von Reykjavik sehen. Sonst ist alles eine weite Fläche, aber mit dutzenden einzelnen Vulkankegeln gespickt, manche sehr hoch, manche weniger. Manche 50 Kilometer entfernt, manche aber auch näher. Sie sind wahrscheinlich sehr alt. Tausend Jahre, vielleicht Zweitausend. Oder älter.

Zurück in Reykjavik regnete es. Wir hatten einen unerwartet trockenen Ausflug. Eigentlich war Nieselregen vorausgesagt, aber es schien den ganzen Tag die Sonne.

Um 17 Uhr waren wir zurück im Hotel. Meine Frau musste zu einer beruflichen Veranstaltung. Ich ging unter die Dusche und legte die Beine hoch. Um 20 Uhr traf ich sie und ihre Mitarbeiterinnen auf ein paar Drinks.

(bisschen schlampig erzählt)

[Mo, 22.9.2025 – Wetter]

Heute sollte ich am Hafen von Follonica, in der Toscana, sein, weil alte Freunde mich zum Segeln nach Sardinien eingeladen hatten. Ich erhielt Selfies, auf denen sie mit T-Shirt und Sonnenbrille vor dem Segelboot sitzen. Sie wissen, wohin ich morgen fahre. Ich habe ab morgen auch T-Shirt-Wetter. Nur trage ich das T-Shirt unter der Winterjacke. Sonnenbrille hätte ich auch. Brauche ich aber nie.

Die Hündin findet das Packen suspekt. Sie findet es immer suspekt, wenn wir packen. Sie läuft mir den ganzen Tag hinterher. Sie wird bei der Nachbarin aber gut versorgt sein. Sie weiß es nur noch nicht.

Am Abend setzten wir uns bei 12 Grad auf den Balkon und öffneten uns ein Bier, um uns auf die Reise einzustimmen.

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[So, 21.9.2025 – Spätsommerabend, Teigkugel, Sonnenbacken, THF, Ásta Sigurðardóttir]

Die KI meiner Wahl ist übrigens nicht Chat-Gepetto (wie wir Pinocchio-Kinder sagen), sondern Claude.ai. Zum einen, weil Claude in vielen Bereichen besser sein soll als das GPT von OpenAI, aber auch, weil Claude eine Ausgründung von OpenAI ist, mit der ehemalige Mitarbeiter ein Sprachmodell mit hohen ethischen und Sicherheitsstandards entwickeln wollten. Hohe ethische Standards will ich natürlich gerne unterstützen. Andererseits sieht man gegenwärtig (in den USA und anderswo), wie formbar ethische Standards sind. Ich weiß ja auch nicht. Aber so lange ich die Wahl habe, wähle ich aus.

Jetzt habe ich wirklich lange nichts mehr berichtet. Ich weiß gar nicht mehr, was am Freitag geschehen ist. Ich machte mir keine Notizen, vermutlich habe ich nur geschrieben und bin alle paar Stunden mit der Hündin spazierengegangen. Abends kam meine Frau nach Hause und wir gingen zum Nachbarn, der uns zu Pizza eingeladen hatte. Wenn ich ganz ehrlich bin: Ich könnte jeden Tag vom Nachbarn zu Pizza eingeladen werden. Irgendwann ähnele ich dann diesen runden Teigkugeln, bevor sie in Pizzaform gebracht werden. Ich werde mich kneten und mit Mozzarella belegen lassen.

Am Samstag gegen halb elf fuhr ich zum Olympiastadion. Es war ein sommerlicher Tag bei 29 Grad. Drüben in Block T.1, wo ich jetzt stehe, kam die Sonne glücklicherweise nicht hin. Meine Freunde, die in Q.3 stehen, wurden aber knusprig gebacken. Bei der Performance, die unsere Mannschaft derzeit liefert, ist es vielleicht nicht schlecht, ein wenig Sonne abzubekommen. Es steht uns ein langer und düsterer Winter bevor. Nach diesem sehr deprimierenden Spiel blieb ich noch eine Weile mit Freunden vorne am Rondell. Niemand wollte über Fußball reden. Auch JT aus Kanada war da, diesmal mit Bekannten aus Winnipeg. Ich entschuldigte mich bei den Gästen aus Winnipeg für die Leistung meiner Mannschaft. Die hatten aber einen guten Tag und fanden es nicht schlimm.

Nachher war ich auf einer Geburtstagsfeier in Neukölln eingeladen. Wegen des sommerlichen Wetters wurde die Feier auf das Tempelhofer Feld verlegt, wo wir uns ein schattiges Plätzchen aussuchten. Dort blieben wir, bis die Abendsonne den ganzen Himmel rot verfärbte. Als es dunkler wurde, verzogen wir uns in die Wohnung des Geburtstagskindes. Ich aß noch etwas vom Büfett und nahm mir gegen 22 Uhr ein Taxi.

Es war ein wirklich schöner Spätsommerabend. Es wird der letzte sein.

Heute packten wir für die Arktisreise zur Probe. Ich suchte Mützen und Handschuhe raus, sowie warme Thermo-Unterwäsche. Weil wir sehr minimalistisch verreisen und mehrere Flüge haben (ich werde noch berichten) und mehrere Klimazonen durchleben werden, ist das eine komplizierte Angelegenheit. Ich kann das jetzt aber nicht mehr schriftlich wiedergeben. Es ist auch nicht interessant.

In Vorbereitung auf Reykjavik lese ich gerade die gesammelten Erzählungen von Ásta Sigurðardóttir, die im Island der 50er Jahre mit jedem ihrer Texte einen Skandal auslöste. Es sind erstaunlich radikale Kurzgeschichten einer ungezügelten Frau in einer Welt, die damit nicht umzugehen wusste. Sie starb verarmt mit 41 Jahren und 5 Kindern an den Folgen von Alkohol. Diese 200 Seiten beinhalten ihr komplettes literarisches Werk. Mehr hat sie nicht geschrieben.

Zwar kaufte ich das Buch bereits vor zwei Monaten, aber ich fand, die bevorstehende Reise sei ein guter Moment, mit dieser Lektüre zu beginnen.

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[Do, 18.9.2025 – Beim Packen und wie di KI dessen Literarizität bewertet]

Packen, Jacken, Winterjacken. Es war gerade August. Für Grönland entmotte ich dieses Jahr etwas verfrüht meine Winterjacke. Die Wetterprognose für Nuuk sagt jedoch 5 Plusgrade voraus. Dafür brauche ich noch gar nicht eine richtige Winterjacke. Als wir vor zwei Jahren (auch Ende September) nach Longyearbyen reisten, hatten wir dort schon –15. Aber Spitzbergen liegt auch wesentlich näher am Nordpol als Nuuk. Ich habe seit Kindheitstagen immer schon gerne auf Landkarten gestarrt. Grönland hing mein ganzes Leben lang als weißer Eiszapfen vom oberen Kartenrand herunter. Natürlich musste es dort kalt sein. Aber Ende September braucht man noch keine richtige Winterjacke. Weil wir uns aber auch auf Booten aufhalten und mindestens eine Bergwanderung unternehmen werden, müssen wir dennoch flexibel sein. Von Reykjavik nach Grönland sind lediglich 6kg kostenloses Gepäck erlaubt. Aus diesem Grund ziehen wir unter der Herbstjacke dünne Wollschichten an und diese Ultra-Thin-Daunenwesten von Uniqlo, die richtig gut warmhalten. Das schwere Gepäck lassen wir dann auf Island. So der Plan. Meine Frau liebt es, mit Handgepäck zu reisen. Sie flog mit Handgepäck für zwei Wochen nach Neuseeland. Sie hat das „Less is more“ von der Architektur auf ihre Kofferpackfähigkeiten übertragen. Mir ist es recht, ich find’s amüsant, mich zu Minimalismus zu zwingen. Aber bei 6 Kilo und Winterausstattung muss ich mir sogar Gedanken darüber machen, welches Buch ich mitnehme. Vielleicht lese ich auch alles auf dem Telefon.

Was wollte ich sagen?

Gestern fragte ich die KI wieder einmal, was sie von einem der Blogeinträge hält. Es ging um den vorigen Eintrag zu „Stand By Me“ und meiner Furcht vor einem Riss der Adduktoren. Die KI antwortete mir mit einem schmeichelnden Fazit: „Der Text liest sich wie ein Tagebucheintrag, hat aber durchaus literarische Qualitäten in seiner nachdenklichen Beobachtungsgabe.“

Ey, die weiß doch genau, was ich hören will.

Beim heutigen Eintrag bitte ich sie, ein bisschen kritischer zu sein. Sie stört sich an dem Bild „Weißer Eiszapfen“, weil der Ton zwischen ‚poetisch‘ und ‚banal praktisch‘ schwankt. Ich sage: „Entspann dich mal, das ist ein literarischer Blogeintrag, wie du ja selber schon festgestellt hast.“ Daraufhin entschuldigt sie sich und gibt zu, den Text mit falschen Maßstäben bewertet zu haben. Bei einem persönlichen, literarischen Blogeintrag sei dieses Sprunghafte genau richtig: „Diese stilistischen Schwankungen spiegeln die verschiedenen Ebenen wider, auf denen wir über eine Reise nachdenken – von der konkreten Logistik bis zur emotionalen Bedeutung“, und sie gibt mir drei Absätze lang literaturwissenschaftliche Erklärungen, warum der Text doch wieder gut ist.

Ich könnte ewig weitermachen.

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[Mi, 17.9.2025 – Standy by me, Abduktoren]

Als „Stand by me“ 1986 ins Kino (oder ein paar Jahre später ins Fernsehen) kam, habe ich ihn nicht gesehen. Obwohl er in den Kanon jener Filme passte, die ich als Teenager in den Achtzigerjahren schaute, also Goonies, Teen Wolf, Zurück in die Zukunft usw. Warum ich gerade diesen Film nicht gesehen habe, weiß ich nicht. Immerhin wurde der Film für einen Oscar nominiert, ging am Ende aber leer aus. Mich interessiert es ja sehr, was anderen Leuten gefällt. Neulich fand ich heraus, dass der Film auf einer Novelle von Stephen King basiert. Deshalb las ich die Novelle und fand sie aber nur mittelmäßig gut. Zwar las ich sie gerne, aber sie regte nicht sehr viel in mir an. Am besten gefiel jedoch mir der Abspann der Geschichte, wo er noch auf zahlreichen Seiten vom weiteren Schicksal der drei Freunde erzählt. Zwar starben sie alle drei, aber er legte in diese Abhandlung eine seltsam wirkende Melancholie über ihr Schicksal, wie Wasser, wenn es beim Fließen seine Wege sucht.

Heute liehen wir uns den Film aus. Er funktionierte für mich nicht mehr so gut, ähnlich wie zB Goonies. Das Erzähltempo der Szenen ist seltsam träge, wobei es gleichzeitig eine Hektik verströmt. Das empfinde ich oft in Filmen der Achtzigerjahre. Es war wahrscheinlich der Zeitgeist. Das Lebenstempo der Achtziger.

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Mittlerweile habe ich im Fitnessstudio Angst vor Muskelkater. Berichtete ich nicht neulich schon von Muskelkater? Dieser neuartige Muskelschmerz, der sich wie eine schmerzende Decke über mich legt? Ich überanstrenge mich in letzter Zeit regelmäßig. Was damit zusammenhängt, dass ich 15 Kilo an Gewicht verloren habe und damit auch viel Muskelmasse. Das will ich jetzt kompensieren. Witzig finde ich vor allem die Erkenntnis, dass gewisse Körperpartien bei mir sehr schwach ausgebildet sind, bzw. dass ich bei gewissen Bewegungen wenig Kraft ausüben kann. Ich dachte ja immer, ich sei sehr stark, aber bei der Schulterpresse muss ich beispielsweise auf das zweitkleinste Gewicht (10kg) zurückstufen, während ich mich bei Bauch und Beine im obersten Gewichtsdrittel befinde. Mit Ausnahme von Abduktorenübungen. Die Maschine, bei der man im Sitzen die Knie zueinanderführen muss, also die inneren Abduktoren trainiert. Bei dieser Übung fehlt es mir nicht nur an Kraft, die Bewegung wird zudem von einem unangenehmen, leichten Schmerzgefühl begleitet. Ein Freund schrieb mir, dass er sich bei dieser Übung einmal die Abduktoren riss. Vielleicht waren es auch die Sehnen oder irgendwelche Bänder. Jedenfalls riss bei dieser Übung etwas und das war dermaßen schmerzhaft, dass er schrie und ein Krankenwagen gerufen werden musste. Ich bin mir sicher, dass das genau jene Stelle ist, die diesen unangenehmen, leichten Schmerz verursacht. Ich bin jetzt sehr vorsichtig, stelle die niedrigste Gewichtsstufe (7,5 kg) ein und wiederhole die Übung einfach sehr oft. Ich würde mich zu Tode schämen, als alter Mann mit weißem Bart vor diesen ganzen Sportlermenschen auf einer Bahre abgeführt zu werden.

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[Di, 16.9.2025 – Vertrauen in die Weltwirtschaft und so]

Wie die Hündin ständig meine gebrauchten Socken klaut und sich damit in ihr Bettchen zurückzieht: Ich fühle mich dann immer sehr geliebt.

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Vor 15 Jahren arbeitete ich ein paar Jahre lang bei einem kleinen E-Commerce-Unternehmen in Kreuzberg und als ich anfing, wurde die Firma gerade von Ebay gekauft. Da ich die IT leitete, war es eines meiner ersten großen Projekte, die technische Konsolidierung mit dem neuen Mutterhaus durchzuführen. Nach der erfolgreichen Umsetzung wurden den maßgeblich Projektbeteiligten Aktien von eBay und PayPal im Wert von etwa 600€ ausgegeben. Damals regte ich mich auf, weil ich keine Aktien wollte. Ich bevorzugte eine Geldüberweisung, weil ich schlichtweg keine Lust darauf hatte, mich mit dem Aktienmarkt zu beschäftigen. Als ich noch für SUN Microsystems in Madrid und Amersfoort arbeitete, ließ ich mir die Aktienpakete auch immer direkt in Geld auszahlen, was nach dem bald darauf folgenden Niedergang von SUN immerhin ein Glücksfall für mich gewesen ist. Bzw. kein Verlustgeschäft. Bei eBay kam man mir aber nicht entgegen, weil man Firmenaktien auch als Mitarbeiterbindung zur Firma verstand. Da ich mit meiner Forderung aus diesem Grund nicht weiterkam und mir das Thema letztendlich doch nicht so wichtig war, gab ich meine Bemühungen bald auf. Ich nahm die Aktien an und würde sie einfach beim Verlassen der Firma eincashen.

Was ich dann allerdings vergaß.

Einige Jahre später sah ich, dass sich vor allem der Kurs der Paypal-Aktie deutlich gesteigert hatte. In der zweiten Hälfte der 10er-Jahre waren aus den 600€ immerhin etwa 4000€ geworden, also ließ ich das Geld einfach daliegen. Zu Beginn der Pandemie schaute ich wieder einmal in das Aktienkonto hinein und sah mein kleines Aktienpaket bei sagenhaften 25.000 € stehen. Ich wähnte mich glücklich und liebte den Kapitalismus und bereute es, damals nicht noch ein paar Aktien zum Vorzugspreis erworben zu haben. In jenen Tagen schaute ich täglich in das Konto. Der Kurs stieg weiter steil an. Bis in den Oktober ’21 hinein und auf einmal zeigte die Linie richtig steil nach unten. Wesentlich steiler, als sie vorher gestiegen war. Im Nachhinein weiß ich jetzt, dass es der beste Moment gewesen wäre, die Aktien abzustoßen und das Geld einzucashen. Die Talfahrt würde nicht aufgehalten werden, aber damals wollte man das nicht glauben. PayPal doch nicht. Die Delle ist doch nur ein kurzer Dämpfer, der Kurs wird danach wieder richtig steigen, weil: halten, halten, halten, man soll Aktien ja immer halten und niemals in Panik verfallen. Ich verfiel nicht in Panik, aber die Aktie verfiel. Insgesamt pendelte sich der Wert bei 3000€ ein, dort liegt er seit vier Jahren und es tut sich nicht viel. Die ursprünglichen 600€ haben sich immerhin verfünffacht.

Erkenntnis habe ich daraus keine gewonnen.

Wenn nächsten Monat das europäische WERO kommt, das PayPal, Visa und Mastercard ersetzen soll, dann wird der PayPal-Kurs wohl nicht weiter steigen. Deswegen verkaufte ich heute die Aktien. Das Geld sollte ich vielleicht versaufen in ETFs anlegen. Vor zwei Jahren experimentierte ich ein bisschen mit ETFs. Kleinere Summen nur. War gut. 12% Rendite im Jahr. Was ich an ETFs immer interessant fand, war, dass ETFs die Weltwirtschaft abbilden. Vereinfacht kann man sagen: So lange die Weltwirtschaft wächst, wächst auch das ETF-Portfolio. Hat man also Vertrauen in die Weltwirtschaft, kann man auch dem Zuwachs des eigenen Geldes vertrauen.

Wenn es mir gerade aber an etwas fehlt, dann ist es Vertrauen in die Weltwirtschaft.

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